"Jan Paul" bei Menschen in der Gondel
Ein junger Mann mit Down-Syndrom fragt alle nach ihren Namen.Es war ein Gondelausflug auf einen Berg. Meine Frau, ich und vier unserer Kinder wandern auf der Rax. Sie ist ein schönes Ausflugsziel, gut zu bewandern auch für Familien mit kleinen Kindern. Die Plätze in den Gondeln sind beschränkt, man muss reservieren. Es ist schön und wir möchten später hinunterfahren. „Nein, die Köpfe sind gezählt“, sagt der Gondelwart. „Ah, die Köpfe rollen!“, sage ich zurück als Scherz. Das müde, mitgenommene Gesicht des älteren Mannes formt sich immerhin zu einem Lächeln. Wir müssen also die frühere Gondel nehmen und können den Aufenthalt am Bergkamm nicht verlängern. Die Gondel ist voll mit etwa zwanzig Leuten, sechs davon sind wir. Wir stehen gedrängt. Eine Stimme gleich hinter mir ruft: „Können Sie den Sitzplatz einem Behinderten überlassen?“ Ich hatte bisher nicht bemerkt, dass es Sitzplätze gab, zwei meiner Kinder saßen dort, sie stehen auf. Nicht die Frau, die gerufen hat, setzt sich nieder, sonder ein junger Mann mit Down-Syndrom. Die Gondel setzt sich in Bewegung. Die Menschen sind still, sie wollen sich in dem engen Raum über den Baumkronen nicht bedrängen, auch nicht mit ihrer Stimme. Am Platz neben dem jungen Mann mit Down-Syndrom (es gab nur zwei Sitzplätze) saß eine junge Frau mit einem gutmütigen Hund an der Leine. Der jungen Mann beginnt wie selbstverständlich den Hund der Frau über den Kopf zu streicheln, immer immer wieder. „Lieb!“, sagt er und streichelt ihn weiter. „Wie heißt er?“, fragt er ebenso selbstverständlich wie er begonnen hat, ihn zu streicheln. „Tim“, antwortet die Frau. „Und wie heißt du?“, fragt der junge Mann mit Down-Syndrom nun die Frau. „Ich heiße Verena.“ - „Und wie heißt du?“, fragt der Junge einen Mann, der neben Verena steht, offensichtlich ihr Partner. „Robert.“ Es geht weiter, reihum fragt der junge Mann von seinem Sitzplatz aus alle in der schwebenden Gondel nach ihrem Namen, auch meine Kinder und mich. Meine Kinder schmunzeln. Das seltsame Verhalten des jungen Mannes ist für sie unterhaltsam.
Die meisten Menschen sind etwas irritiert, manche wohlwollend, aber nun kennt er sie alle beim Namen. Dem Hund hat er Zärtlichkeit gezeigt, auch wenn es sich auf diese Weise nicht gehört, der ist schließlich in der Obhut einer anderen Frau.
Er fragt auch mich nach meinem Namen: „Johannes.“ Er gibt eine Antwort zurück, die ungefähr klingt: „Ich heiße auch so!“ Doch da ist noch etwas und ich frage nach. Nein, sagen die Menschen rundherum, er heißt „Jan“ (es ist Tschechisch für „Johannes“). Aber ich habe noch etwas gehört – und ja, er gibt mir recht: „Jan Paul!“ „Das heißt ‚Johannes Paul‘, wie der verstorbene Papst.“, erklärt mir die Betreuerin des jungen Mannes mit dem Down-Syndrom, die ihm den Sitzplatz verschafft hat.
Ich staune: Da ist eine Klarheit, eine Einfachheit und es geschieht gänzlich unerwartet. Der kindliche Geist eines einfachen Menschen schenkt Zärtlichkeit, nennt uns alle beim Namen und trägt den Namen eines Oberhaupts der Kirche. Hier musste Gott am Werk sein.
Johannes, Wien