Pater Giorgio Ghigo

Ich habe dich beim Namen gerufen

Von einer "multiethnischen" Familie zum Wunsch, Gott das Leben zu schenken: Die Berufung von Don Giorgio Ghigo, am 24. Juni zum Priester geweiht und nun Kaplan in Wien.
Giorgio Ghigo

April 1993. Da fing alles an. Ich wurde zu früh geboren und meine Mutter ließ mich auf der Neugeborenen-Station im Kinderkrankenhaus von Turin zurück. Eine der Krankenschwester beschloss, mich Giorgio zu nennen, damit im Standesamt das X in meinen Papieren nicht durch irgendeinen beliebigen Namen ersetzt würde. Damit fing alles an. Denn, wie ich mir oft sage: Ich hätte auch nicht existieren können, aber ich bin da. Die mutige Entscheidung, eine Schwangerschaft auszutragen, die wahrscheinlich weder erwartet noch gewollt war, hat dazu geführt, dass ich jeden Tag für eine Mutter bete, die Gott die Chance gegeben hat, etwas Großes zu wirken. Nach einigen Monaten im Inkubator, in denen sich die Krankenschwestern um mich kümmerten, kamen meine Mama und mein Papa und adoptierten mich. „Du bist nicht allein und wirst nie allein sein“. Das ist das Wort der Barmherzigkeit Gottes. „Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, ohne Erbarmen sein gegenüber ihrem leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergiss: Ich vergesse dich nicht!“ (Jes 49, 15) Später kamen noch Radhike aus Indien und Jesus Antonio aus Kolumbien zu meiner Familie hinzu. Wir sind eine multiethnische Familie!

Ich war noch sehr jung, als ich meine Mutter fragte, ob ich auch „in ihrem Bauch“ gewesen sei. Meine Mutter, die diese Frage so früh nicht erwartet hatte, antwortete mir: „Nein, Giorgio, du warst nicht in meinem Bauch, aber du warst in meinem und in Papas Herz“. Diesen Satz haben sie mir oft wiederholt. Vor allem als ich fünf Jahre alt und bewusster war und sie mir meine ganze Geschichte erzählten. Ich erinnere mich, dass ich sehr geweint habe, weil ich auch „in ihrem Bauch“ gewesen sein wollte. Ich wollte kein „halber“ Sohn sein, ich wollte ganz zu ihnen gehören. Während meiner Jahre im Seminar habe ich durch Don Francesco und Don Paolo gelernt, meine persönliche Geschichte anzuschauen und immer tiefer zu verstehen. Denn es war ja schon alles von Anfang an da. „Jetzt aber - so spricht der Herr, der dich erschaffen hat und dich geformt hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir! (…) Denn du bist teuer und wertvoll in meinen Augen und ich liebe dich (vgl. Jes 43, 1-4). Diese Worte Gottes sind nun wie ein Fundament in meinem Lebe geworden, auf das ich bauen kann und alles erbauen lassen. Nichts und niemand kann sie auslöschen, denn sie bestimmen mich ganz und gar.

Meine Familie gehört zur Bewegung Comunione e Liberazione, und ich habe von klein auf eine christliche Erziehung genossen. Aber am Ende des Gymnasiums war mein Leben sehr zersplittert: Familie, Schule, Konservatorium, Freundin, Sport usw. Doch in meinem Herzen verspürte ich die Sehnsucht, „eins“ zu sein.
Als Studienfach wählte ich Architektur, weil ich sein wollte wie Antoni Gaudí und ein großes Werk für Gott bauen. Ich wollte auch ein „Architekt Gottes“ werden, wie er sich selber nannte. Daher zog ich von Cuneo nach Turin, in eine Wohngemeinschaft mit Studenten von CL. Das Leben mit ihnen war unglaublich schön. Dort wurde mein Wunsch nach Einheit im Leben wirklich ernst genommen und ich erlebte, dass man wahre Freunde haben kann.

Zu Beginn meines zweiten Studienjahres lernte ich die Priesterbruderschaft vom heiligen Karl Borromäus kennen. Drei Seminaristen kamen an unsere Uni, um eine Ausstellung über Vaterschaft in der Literatur zu präsentieren. Sie baten uns, ihnen bei der Organisation zu helfen, und ich bot mich an, Besucher durch die Ausstellung zu führen. Wir waren alle beeindruckt von den dreien, von ihrer Entscheidung, Priester zu werden, und von ihrer Freundschaft untereinander. Was mich am meisten beeindruckt hat, war die Freude in ihren Augen. Es war glasklar, dass sie glücklich waren.
Diese Augen sind mir im Gedächtnis geblieben. Wie war es möglich, dass drei junge Männer, kaum älter als ich, ein solches Leben führten? Ich, der anscheinend „alles“ hatte, hatte nicht solche Freunde im Herzen.

Ich sah mich schon als brillanten Architekten, verheiratet und mit vielen Kindern, wie in meiner Familie. Doch Gottes Pläne sind immer anders und immer schöner als unsere eigenen. Die greifen immer zu kurz. Nachdem diese Seminaristen bei uns gewesen waren, tauchte in mir die Frage auf: „Was, wenn Gott dich auffordern würde, es ihnen gleichzutun, also alles zu verlassen und dein Leben ihm zu schenken? Wärst du dazu bereit?“. Nicht ohne Kämpfe erkannte ich schließlich den Weg, den Gott von Anfang an für mich vorgesehen hatte. Dieser Weg führte mich schließlich 2015 an die Pforte des Priesterseminars in Rom. Ein Weg, auf dem Gott bewiesen hat, dass er treu ist: „Du gehörst mir, du wirst nie allein sein“.