Die Freundschaft mit Johnny

Ein todkrankes Kind schenkt Giulia einen neuen Blick aufs Leben: "Stille, eine große Frage und einen Grund, in den Himmel zu schauen". Ein Zeugnis aus Wien.

Hier ist die Geschichte meiner Freundschaft mit Johannes, einem vierjährigen Jungen, dem ich im Mai 2022 begegnete.

Wir lernten uns kennen, als er mit einem Hirntumor in dem Krankenhaus lag, in dem ich einen Teil meiner Freizeit bei den Kindern verbrachte. Im Laufe des Sommers hatte sich sein Zustand gebessert und wir hatten eine Weile keinen Kontakt mehr. Vor etwa eineinhalb Monaten wurde er aber erneut eingeliefert, da der Tumor nicht mehr zu bewältigen war. Es wurde klar, dass er bald sterben würde, und ich beschloss, ihm Gesellschaft zu leisten bis zu seiner Geburt im Himmel.

Wir waren Freunde geworden, weil wir einander mochten, wir waren ja beide ein bisschen verrückt. Wenn ich jetzt zurückblicke, ist es für mich eine Ehre, ein bisschen so zu sein wie er. Im November verbrachten wir viel Zeit miteinander; ihn zu sehen, machte mich fröhlich, aber ich ging oft resigniert nach Hause, weil ich den Sinn seines Leidens nicht verstehen konnte. Aber ich hörte nie auf zu gehen, weil es unmöglich war, nicht an ihn zu denken, und weil ich wusste, dass uns nicht viel Zeit übrig bleibt. Als ich am Donnerstag, dem 24. November, aus dem Krankenhaus nach Hause ging, wurde mir klar, dass wir uns nicht mehr wiedersehen würden, vor allem, dass ich seine Stimme vergessen würde. Ich bat also darum, ihn ein letztes Mal besuchen zu dürfen, um mich von ihm zu verabschieden und ihm die Schokolade und die Piadina zu geben, die ich ihm versprochen hatte.

Am Montag fand ich ihn in seinem Zimmer und war überglücklich: Er war schön, froh und müde - er hatte aufgehört zu trinken und zu essen. Wir spielten nicht wie sonst. Ich bemerkte, dass er seine Spielsachen in eine Ecke gelegt hatte, und er bat mich überraschenderweise darum, ihn aufs Bett zu stellen. Nachdem er in Unterwäsche geblieben war, sagte er: "Sieh mich gut an" - er zeigte auf die Infusionen und die Pflaster - "wenn du mich das nächste Mal besuchen kommst, wird alles weg sein, ich werde ganz weiß sein".
Ich nickte, gab vor, ruhig zu sein und hielt ihn in den Armen bis zum Ausgang. Als ich sagte: "Johnny, ich komme wieder, dich zu besuchen!", sah er mich ernst an und antwortete: "Nein, wir beide werden uns hier nicht mehr sehen. Ich werde bald nach Hause gehen, ich bin geheilt. Wenn du willst, kannst du mich zu Hause besuchen, denn ich komme nie mehr hierher, es geht mir gut. Frag meine Mama nach unserer Adresse, ich wohne in einem weißen Haus in der Nähe vom Billa'. Ich fragte also sofort, was ich ihm nach Hause bringen könnte: die Piadina, die Schokolade... "Ich brauche nichts mehr. Ich lasse alles hier, auch die Spielsachen. Nimm dir, was du willst, zu Hause haben Mama und Papa schon alles für mich vorbereitet".

Johannes ist ein Kind und ich bin ein Mensch, der alles tut, um sich nicht zu sehr in das Leben anderer einzumischen. In diesem Fernbleiben vom Schmerz dachte ich, meine Freiheit gefunden zu haben. Bis ich meinen kleinen Freund Johannes traf, der mir erzählte, was seine Freiheit ist und was das “Brot” seines Lebens ist. So musste ich mich fragen, was meine Freiheit und mein “Brot” sind.

Der Tod von Johannes kam nicht unerwartet: Wir alle haben die Tage gezählt, weil wir dachten, das wäre die Erlösung seines - für mich bis heute unerklärlichen - Leidens. Doch mitten in unserer Bitterkeit und Enttäuschung sprach er zu uns über sein Leben. Ich überlegte die ganze Zeit, was ich tun sollte, um ihn aufzuheitern, welche Witze und Spiele wir zusammen machen sollten: "Armer Johnny, er wird bald sterben... lass uns ihn wenigstens unterhalten". Stattdessen hat er mich am letzten Tag, an dem wir uns sahen, völlig überrascht. Da wurde mir klar, dass ich die Arme war, weil ich nur auf den Anruf wartete, der seinen Tod ankündigte, und er mir stattdessen nur vom Leben erzählte.

In diesem Moment war er frei, mehr als ich. Er war frei im Bewusstsein, dass er bald nach Hause gehen würde und dass er nichts mehr brauchte, weil alles schon für ihn da war. Johannes gab mir alle seine Spielsachen, sogar die Ente, die ich ihm geschenkt hatte, und seine Medikamente. Denn er war bereits geheilt. Alles war bereits zu Hause.

Johannes war in diesen vier Wänden, in denen er kein Gefangener war, präsent, und er hatte einen Blick auf mich, nach dem ich mich in den letzten Jahren gesehnt habe. Als wir zusammen waren, war ich nur für ihn da, und er war nur für mich da. Ich frage mich immer wieder, was der Sinn seines Leidens war und was ihn in der Nacht vor seinem Tod sagen ließ, dass er bald nach Hause kommen würde, weil er "bereits geheilt" sei.

In der Nacht des 29. November schlief Johannes ein und ging nach Hause - er schenkt uns seine Spiele, Stille, eine große Frage und mir einen Grund, in den Himmel zu schauen.
Danke, Johnny!

Giulia C.