Unser Weg
Brief von Davide Prosperi, dem Präsidenten der Fraternität von CL, an die Bewegung nach der Audienz mit Papst Franzskus1982, Päpstliche Anerkennung der Fraternität:
„Was geschehen ist (...), ist sicherlich die größte Gnade in der gesamten Geschichte der Bewegung.“
(Don Giussani)
2002, 20. Jahrestag der päpstlichen Anerkennung der Fraternität:
„Der Brief des Heiligen Vaters an mich (...) ist die wichtigste Geste in unserer Geschichte.“
(Don Giussani)
2022, Audienz mit Papst Franziskus anlässlich des 100. Geburtstages von Don Luigi Giussani
Liebe Freunde,
was am vergangenen Samstag bei der Audienz mit Papst Franziskus geschehen ist, hat alle Erwartungen bei Weitem übertroffen. Wir hatten zwar beschlossen, dieses Ereignis mit unserem Eröffnungstag zusammenfallen zu lassen, aber wir haben etwas erlebt, das unvergleichlich mehr war: einen echten Neuanfang.
Ein Gefühl überwiegt: Dankbarkeit. Dankbarkeit gegenüber Gott für das Geschenk von Don Giussani und sein Charisma, und Dankbarkeit gegenüber Don Giussani, weil er unser Volk wieder einmal um die Leitung der Kirche versammelt hat. Wie vermutlich viele von euch bin ich immer noch tief beeindruckt, was die Saat, die Don Giussani ausgesät hat, hervorgebracht hat: einen großen Strom von Menschen, der erfüllt ist von Zuneigung und Dankbarkeit für die empfangene Gnade. Ich bin daher auch euch allen dankbar, dass ihr mit eurer Anwesenheit auf dem Petersplatz vor der Welt ein Zeichen dieser Gnade gesetzt habt.
Und schließlich kann mein und unser Dank nur Papst Franziskus gelten. Vor allem für die liebevollen und tiefgründigen Worte, die er Don Giussani gewidmet hat, „für all das, was er zum Wohl der Kirche überall zu säen und auszustrahlen vermochte“. Es hat unsere Herzen mit Staunen und Freude erfüllt, dass der Heilige Vater am 100. Geburtstag von Don Giussani festgestellt hat, die Kirche denke dankbar „an seine Gegenwart [...] in der Gemeinschaft der Heiligen, von wo aus er für die Seinen Fürbitte hält“. Und dass sie „sein pädagogisches und theologisches Genie“ anerkennt und ihn als „wahren Apostel“ und „Vater und Lehrer“ für alle, denen er begegnete, bezeichnet. Dies ist ein klares Zeichen für die Anerkennung des Wertes, den der Diener Gottes Don Luigi Giussani und seine Lehre für das Leben und die Geschichte der Kirche haben. Um dem Geschenk, das wir empfangen haben, treu zu bleiben, hat jeder von uns die Verantwortung, sich bewusster zu machen, dass es uns vor allem gegeben wurde, damit wir der Sendung der Kirche in der Welt dienen.
Desweiteren sind wir dem Papst aufrichtig und zutiefst dankbar, dass er uns nicht nur das Ziel, sondern auch den Weg dorthin aufgezeigt hat. In den kommenden Wochen werden wir daher alle – persönlich und in unseren Gemeinschaften – die Ansprache des Heiligen Vaters sorgfältig und ernsthaft studieren.
Damit die Wirkung des außergewöhnlichen Ereignisses, an dem wir teilgenommen haben, nicht verfliegt, möchte ich – zusammen mit denjenigen, die mit mir Verantwortung tragen – gleich einige wesentliche Punkte darlegen.
Die Krise lässt uns wachsen. Der Heilige Vater ist mehrfach auf die Forderungen eingegangen, die in den vergangenen Monaten von den kirchlichen Autoritäten, besonders vom Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben, erhoben wurden, und hat sie bestätigt. Dies ist also eine „Krisenzeit“. Aber als solche ist sie eine Gelegenheit zum Wachstum, zur Reifung unseres Glaubens. Der Papst sprach von „ernsthaften Problemen“, von „Spaltungen“, von einer „Verarmung in der Präsenz“. Die erste Art, seine väterliche Korrektur ernst zu nehmen, besteht darin, anzuerkennen, dass sie wahr ist, und zu erkennen, welche Bedeutung und welches Gewicht seine Worte haben. Papst Franziskus hat, wie ich bereits erwähnt habe, auch die Schritte aufgezeigt, die zu unternehmen sind: Dies müssen für uns „Zeiten der Rückbesinnung“ sein, in denen wir uns fragen, wie wir die Dimensionen der Kultur, der Nächstenliebe und der Mission leben, „Zeiten der kritischen Auseinandersetzung mit dem, was das fruchtbare Potenzial des Charismas von Don Giussani eingeschränkt hat“, und „Zeiten der Erneuerung und des missionarischen Neubeginns“.
Einheit in der Nachfolge. Es war ermutigend, in den Worten des Heiligen Vaters eine Bestätigung des Weges zu hören, den wir in den letzten Monaten eingeschlagen haben, von den Exerzitien der Fraternität bis zur Arbeit bei der Internationalen Versammlung der Verantwortlichen: „Einheit [ist] nicht gleichbedeutend mit Uniformität [...]. Habt keine Angst vor unterschiedlichen Sensibilitäten und Auseinandersetzungen auf dem Weg der Bewegung.“ Wodurch aber wird diese Einheit gewährleistet? Durch Nachfolge, das heißt durch „Einheit mit denjenigen, die die Bewegung leiten, Einheit mit den Hirten, Einheit in der sorgfältigen Befolgung der Anweisungen des Dikasteriums“ „und Einheit mit dem Papst“.
Demütig das Charisma immer wieder neu entdecken. Papst Franziskus sagte, dass „es nicht das Charisma ist, das sich ändern muss“. „Aber die Art und Weise, wie es gelebt wird, kann ein Hindernis oder sogar einen Verrat an dem Ziel darstellen, für das das Charisma vom Heiligen Geist geweckt wurde.“ Wir sind daher aufgefordert, „Fehlentwicklungen zu erkennen und gegebenenfalls zu korrigieren“, und zwar „in einer Haltung der Demut und unter der weisen Führung der Kirche“. Das Charisma, das Don Giussani geschenkt wurde, hat ein „Potential“, das noch „weitgehend zu entdecken“ ist. Wir dürfen uns daher nicht anmaßen, es bereits vollständig assimiliert und verstanden zu haben. Es muss immer wieder neu entdeckt, vertieft und aktualisiert werden, in einer Logik der permanenten Reform.
Charisma und Autorität. „Don Giussani hat Achtung und kindliche Liebe zur Kirche gelehrt, und er hat es immer verstanden, mit großer Ausgewogenheit Charisma und Autorität, die sich ergänzen und beide notwendig sind, zusammenzuhalten.“ Dies gilt notwendigerweise auch innerhalb der Bewegung: Einige sind „mit einem Amt der Autorität und Leitung betraut, um allen anderen zu dienen und den richtigen Weg aufzuzeigen“. „Aber neben dem Dienst der Leitung ist wichtig, dass in allen Mitgliedern der Fraternität das Charisma lebendig bleibt“. Das gilt natürlich auch für das Verhältnis zwischen den Bewegungen (die dazu beitragen, „die Anziehungskraft und die Neuheit des Christentums zu zeigen“) und der Autorität der Kirche (die die Aufgabe hat, „mit Weisheit und Klugheit aufzuzeigen, auf welchem Weg die Bewegungen gehen müssen“). Nachdem Papst Franziskus auf die Beziehung zwischen Autorität und Charisma eingegangen war, wies er auch auf eine Aufgabe und eine Methode hin, für die Don Giussani, wie Kardinal Ratzinger beim Requiem sagte, ein klarer Zeuge war: „Dazu sind wir alle berufen: für andere die Begegnung mit Christus zu vermitteln und sie dann ihren eigenen Weg ziehen zu lassen, ohne sie an uns zu binden.“ Das hilft uns, die Versuchung des Personalismus zu überwinden.
Dies sind nur einige Anhaltspunkte für den Beginn unserer gemeinsamen Arbeit. Die Ansprache des Papstes hat für uns historische Bedeutung. Er bittet uns um echte Umkehr, damit wir die Gnade des Charismas immer wieder neu entdecken und uns in demütiger Dankbarkeit an der unvergleichlichen Schönheit der Gegenwart Christi erfreuen können. Nur so können unsere Herzen mit jener „heiligen prophetischen Unruhe“ für den Frieden, für die Gegenwart Gottes in den Armen und Verlassenen, für die Verkündigung Christi in allen Nationen und Kulturen der Welt brennen, zu der uns der Papst ermahnt hat. Bereiten wir uns also auf eine neue Ära der Mission vor!
Nach dem außerordentlichen Ereignis vom vergangenen Samstag ist unsere Aufgabe genauer umrissen. Der erzieherische Vorschlag für die kommenden Jahre wird darauf abzielen, die Schritte des Weges zu gehen, den der Heilige Vater vorgezeichnet hat. Je mehr wir bereit sind, ihm zu folgen, desto mehr wird unsere Weggemeinschaft in Treue zum empfangenen Charisma ein lebendiger Ort des Lichts, der Einheit und der Hoffnung für die Kirche und für die ganze Menschheit werden. Und trotz unserer Begrenztheit und Armseligkeit wird sie stärker der Erwartung entsprechen können, die Papst Franziskus uns mit väterlichem Nachdruck vor Augen gestellt hat: „Die Kirche und ich selbst [erhoffen sich] von euch mehr, viel mehr“. Fest verankert auf dem Fels unseres Ursprungs stellen wir uns gerne den Herausforderungen der Gegenwart.
In Freundschaft,
Davide Prosperi
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