Brief an die Verantwortlichen Europas

In einer Zeit, die den Zusammenhalt der EU in Frage zu stellen scheint, wagen es einige "gemischten" Familien, die Verantwortlichen der Staaten und der Union durch einen Brief anzusprechen, um ihren schwierigen und schönen Lebensweg zu bezeugen.
Paola Franchi

Es begann mit einem Unbehagen, mit dem tiefen Unbehagen, das Benedetta spürt, als die Medien von der harten Auseinandersetzung um die Corona-Krise zwischen Italien, ihrem Heimatland, und Deutschland, dem Land ihres Ehemannes, berichten. Es scheint, als möchten beide Länder nur das eigene Interesse verteidigen und dem anderen vorwerfen, es würde seine Pflichten der Zusammenarbeit nicht erfüllen. Noch tiefer wird das Unbehagen, als sie und ihr Mann das Thema besprechen und bemerken, wie leicht es ist, Argumente und Denkmuster der Vertreter des eigenen Landes zu übernehmen, obwohl ihre Erfahrung als Paar und als Familie einen ganz anderen Weg bezeugt.

Aus dem Austausch mit Marco, einem Freund, der die besondere Situation einer „gemischten“ Familie auch lebt, entsteht die Idee, einen Brief zu schreiben, der an die Präsidenten, Regierungschefs und wichtigsten Zeitungen der gesamten EU adressiert wird. „Wir wollen nicht parteipolitisch sein“ erklären Benedetta und Marco gleich zu Beginn, als sie den Brief unter Freunden und Bekannten in Wien und in Europa verteilen und weitere Unterschriften dafür sammeln: „Wir wollen nur unsere Erfahrung als europäische Familien teilen“.

In wenigen Tagen erreicht die Schrift immer mehr Menschen, viele erkennen sich in ihren Worten wieder: „An einem bestimmten Punkt in unserem Leben haben wir eine Person einer anderen vorgezogen. Diese Vorliebe wurde dann zu einer Entscheidung für das Leben; und jeden Tag entscheiden wir uns dafür, unsere ‚Union‘ weiterzuführen. (…) Konflikte sind an der Tagesordnung, die die unterschiedlichsten Themen betreffen und manchmal auch sehr hart sein können. Aber sie werden überwunden, weil ich in dieser Union nicht ‚Fan von mir‘ bin. Ich bin ‚Fan von uns‘. (…) Die unzerstörbare Grundlage dieser Union ist das Gute, die Wertschätzung, die Rücksichtnahme, die ich für den Partner habe. (…) Eine echte Europäische Union, in der wir gemeinsam auf ein positives gemeinsames Projekt zugehen, ist möglich. Mit der Anerkennung des anderen als ‚ein Gut‘ für mich, ist es möglich. Wir sind der Beweis dafür, dass dies möglich ist“.

Von dem Wirbel von Telefonaten, Begegnungen, Hilfsangeboten und Debatten, der sich aus der Initiative entwickelt, sind Benedetta und ihre Freunde überrascht, berührt und auch herausgefordert. Nicht alle sind davon überzeugt, keine parteipolitischen Kategorien zu benutzen oder keine konkreten Zwischenfälle zu erwähnen. Diese Einwände fordern dazu auf, die Gründe und Ziele der Aktion noch besser zu definieren. „Für mich ist es klar“, erzählt Benedetta später in einem Brief an einen Freund. „Es interessiert mich nicht zu behaupten, dass jemand Recht und Unrecht hat; es interessiert mich, eine Erfahrung zu teilen. Ich wollte einen gemeinsamen Punkt suchen, etwas, was alle jenseits der nationalen oder politischen Zugehörigkeit teilen können“.

Der Brief ist mittlerweile von fünfundsiebzig Personen aus verschiedenen Ländern unterschrieben, auf zehn Sprachen übersetzt und an die Vertreter von Österreich, Italien, Deutschland, Frankreich, Spanien, Belgien, Luxemburg, Portugal, Kroatien, Irland, Niederlanden, Slowakei, Ungarn, Polen, UK und Rumänien, darüber hinaus an zahlreiche Zeitungen, an die Präsidenten des europäischen Parlaments, der europäischen Kommission und an den Vorsitzenden des europäischen Rats gesendet worden.
Es ist nicht so, dass die Organisatoren daraus große Veränderungen in der EU-Politik erwarten würden: „Wir sprechen einfach von Menschen zu Menschen. Wenn auch nur eine dieser Persönlichkeiten oder einer ihrer Mitarbeiter durch unser Zeugnis zum Nachdenken gebracht wird, ist das ein großartiges Ereignis“.

→ Um mehr über das Fundament zu wissen, das zur Entstehung des Briefs geführt hat, siehe Benedettas Beitrag bei der Versammlung von Comunione e Liberazione im Mai 2020
→ Um den vollständigen Brief an die Vertreter der EU-Länder zu lesen, siehe die pdf Datei unten.