Dem Guten folgen. In der Krise - und auch danach

Bei aller Tragik lassen uns die Umstände der Corona-Krise auch mehr Menschlichkeit erleben. Bleibt gegenseitige Hilfe auf diese Zeit des Ausnahmezustands beschränkt oder leben wir sie auch in der Zeit danach?
Johannes Thaler

Während die Zeit des Virus vielen Angst, Unsicherheit und durch die Ausgangsbeschränkungen große Unannehmlichkeiten bringt, hören wir auch immer wieder Stimmen, die die gegenwärtige Situation als Chance sehen, Stimmen, die den Umständen trotz aller Tragik für viele Menschen etwas Positives abgewinnen können. Anders als im Nachbarland Italien sind die allermeisten Menschen in Österreich noch in der glücklichen Situation, Corona nur als abstrakte Bedrohung durch die Medien wahrzunehmen. Die Ausgangsbeschränkungen zwingen die Menschen, mehr Zeit zuhause, mehr Zeit mit ihren Lebensgefährten und Familien zu verbringen. Es gibt nicht wenige Stimmen, die diese Art erzwungener Abwechslung und Entschleunigung bei aller Tragik, die sie für andere hat, für sich selbst als positiv bewerten. Man hat wieder „Zeit“. Nicht mehr die berufliche Leistung zählt, sondern das „Überleben“ und somit das „Leben“. Manche freuen sich, endlich wieder Zeit dafür zu haben, mit Freunden zu sprechen (zumindest am Telefon) und nicht wenige erzählen, dass neben den menschlich unschönen Hamsterkäufen auch große Hilfsbereitschaft in der Nachbarschaft zu beobachten ist, besonders gegenüber den von der Krankheit am meisten gefährdeten älteren Menschen. Manche erzählen, dass sie sich jetzt lebendiger fühlen, als in den Wochen und Monaten zuvor. Bei aller Tragik, die die Situation für die von der Krankheit betroffenen Menschen und ihre Angehörigen hat und die uns insbesondere in Italien (mit derzeit bis zu 800 Toten täglich) vor Augen geführt wird, können wir uns fragen, wie denn das (im Vergleich dazu vielleicht gering erscheinende) Gute an dieser Ausnahmesituation erhalten bleiben kann in der Zeit nach der Krise. Wie ist es zu bewerkstelligen, dass nachher nicht alles wieder zum gewohnten Rhythmus einer Leistungsgesellschaft zurückkehrt, in der menschliche Gewogenheit Nachrang hat gegenüber Macht, Erfolg, Geld, Rechthaberei? Ist es nicht zwangsläufig, dass nach dem Ausbruch aus den alten Gewohnheiten, nach einer Zeit erzwungener Solidarität in der Gesellschaft wieder die sonst übliche Vereinzelung und Abstumpfung um sich greift?
Das spontane Gute, das Menschliche, die immer wieder durchbrechende Solidarität – gelingt es mir, das alles nicht nur als zufällige Erscheinungen von Menschlichkeit zu sehen? Als ein Randprodukt der Geschichte, das angesichts der scheinbaren Übermacht von Unmenschlichkeit wieder verschwinden wird? Gelingt es mir vielmehr, Gott zu erkennen in den Verwandten, in den Nachbarn, die uns helfen, die sich Sorgen machen, ob unsere Kinder Beschäftigung und genug zu essen haben? Ist es nicht ein wohlwollender Gott, der mir hier begegnet? Einer, der Mensch geworden ist und meine Bedürfnisse kennt? Ich kann mich entscheiden, diese Erlebnisse der Menschlichkeit als das Wesentlichste im Leben zu nehmen, als Fußspuren eines liebenden Gottes, denen ich folgen will, jetzt in der Krise – und auch danach.